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Die größte Demütigung, welche je ein Herrscher in Estrastor erleiden musste, war jene, die Kyra mit ihren Gefährten Prinz Salsortis zufügte, als sie Erin aus dessen Palast befreiten. Dies liegt jedoch schon mehr als sechs Jahre zurück. Der Schwur des Regenten aber, all jene zu bestrafen, die es gewagt hatten, ihm eine Frau aus seinem Harem zu stehlen, besteht noch immer. Fortwährend brennt die Schmach dieser Tat in seiner Brust, geradeso als wäre sie eben erst passiert. All jene, die nur im Geringsten etwas mit dem Verschwinden von Erin zu tun haben konnten, wurden auf seinen Befehl hin befragt. Viele mussten ihr Wissen oder auch Nichtwissen mit dem Tod bezahlen. Unermesslich groß war sein Zorn und so schreckte er auch nicht davor zurück, seine Lieblingsfrau befragen zu lassen. Am Ende dieser Befragung wurde auch ihr Kopf auf einem Spieß über der Mauer des Palastes von Estrastor zur Schau gestellt. Jenem aber, der ihm den Aufenthaltsort von Erin verraten würde, versprach Salsortis mit Gold zu überhäufen. Trotz allem kamen die meisten seiner Ausgesandten mit falschen oder unzureichenden Angaben zurück. Demzufolge mussten auch diese das Schicksal so vieler erleiden, welche Salsortis für das Verschwinden von Erin verantwortlich machte. Doch die Aussicht auf unerschwinglichen Reichtum ließ immer wieder Abenteurer ausschwärmen, um nach dieser sagenumwobenen Frau zu suchen. Vier Jahre dauerte es, bis seine Kundschafter Erins Zufluchtsort ausfindig machen konnten. Sofort schickte Salsortis ein Heer von mehr als zwei Gros Soldaten los, um ihm sein Eigen zurückzubringen. Jedoch geriet diese Streitmacht nahe Orkalbur in eine Auseinandersetzung mit den Sirmateskern, worauf sie vernichtend geschlagen wurden. Nur wenigen gelang es, die Flucht zu ergreifen, um ihrem Herren von der Niederlage zu berichten. Außer sich vor Wut fasste Salsortis den Entschluss, mit seiner gesamten Armee in den Krieg gegen den Norden zu ziehen. Ein weiteres halbes Jahr sollten jedoch die Vorbereitungen dauern, ehe sich der Prinz mit drei Legionen Soldaten und Hunderten seiner Dienerschaft von Estrastor aus in Bewegung setzte. Eineinhalb Monde später erreichte Salsortis die Westoase, wo er sein Heer teilte. Einem Drittel seiner Männer befahl er den direkten Weg folgend über den Wüstenpass bis nach Riverto nehmen, diese Stadt dem Erdboden gleichmachen, um anschließend gegen Meretos zu marschieren.

 

Er hingegen wollte mit dem Rest seiner Armee über die kleine Oase nach Westen ziehen, um vor Parvakai den Weg nach Norden einzuschlagen. Obwohl die Vorbereitungen für dieses Vorhaben so lange dauerten, ist dieser riesige Tross schlecht ausgerüstet. Zudem ist Prinz Salsortis ein schlechter Stratege, hat er doch noch nie eine einzige Schlacht angeführt, da es schon seit Jahrhunderten in der großen Wüste keine kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben hat. Zudem sind seine Landkarten ungenau, veraltet und zum Teil auch fehlerhaft. Seine Kenntnisse über das Land nördlich des großen Südgebirges sind ebenfalls unzureichend und sein Wissen über die Führung eines Feldzuges falsch, hat er dieses doch nur aus alten Erzählungen erworben. Dennoch ist er sich seiner Sache sicher und lässt sich schon jetzt als Sieger feiern. Nicht zuletzt, weil es keiner seiner Berater wagt, ihm zu widersprechen oder ihn auch nur auf die eine oder andere Unzulänglichkeit hinzuweisen. Dreimal am Tag müssen seine Untergebenen sein Zelt aufbauen, ihn fürstlich bekochen und bedienen, ehe der Tross weiterziehen kann. Er weigert sich auch, seine Reise auf dem Rücken eines Pferdes zu bewerkstelligen, da diese Tiere seiner Ansicht nach einen für ihn unerträglichen Geruch verströmen. Also lässt er sich von acht Männern in seiner Sänfte des Weges tragen. Jener Teil seiner Armee, die über den Wüstenpass nach Riverto zieht, wird von einem entfernten Verwandten von Salsortis angeführt, der sich vor seinem Prinzen um jeden Preis profilieren will. Amiir Sinelar ist ebenso unerfahren wie sein Herrscher, aber im gleichen Maße arrogant. So beabsichtigt er, nach der Einnahme von Riverto sofort nach Meretos weiterzuziehen. Dort will er Erin in seine Gewalt bringen und mit dieser seinem Prinzen entgegenziehen, um in dessen Gunst Wohlgefallen zu finden. Auch wenn der Wüstenpass als solcher bezeichnet wird, so führt keine richtige Straße über diesen. Vielmehr ist es ein Pfad, schmal, unwegsam und gefährlich. Nur sein Scheitelpunkt, welcher über dem Ausläufer eines Gletschers führt, wölbt sich gleich einem sanften Hügel über mehrere Meilen. Dieser liegt jedoch so hoch, dass es nur wenig Tage im Jahr gibt, an denen dort auf dem ewigen Eis kein Schnee liegt. Steinschlag und Lawinen gehören auf dem Anstieg ebenfalls zum alltäglichen Erscheinungsbild.

 

 

 

 

Ein eisiger und rauer Wind, welcher dort ständig weht, lässt das Wetter oft in kürzester Zeit umschlagen. So auch an jenen Tagen, an denen sich Amiir Sinelar mit seinen Männern der Passhöhe nähert. Schon seit drei Tagen schneit es unaufhörlich und versteckt jegliche Gefahr unter sich. Zudem kommt auch noch, dass keiner dieser Männer je solch eine Route beschritten hat. Auch ist ihre Bekleidung sowie ihre gesamte Ausrüstung für das raue Klima einer Gebirgsüberquerung völlig unbrauchbar. Ihr größter Feind von dem sie noch nie etwas gehört haben, lauert versteckt unter drei oder vier Ellen tiefen Schnee. Eine riesige Gletscherspalte. Dutzende Faden tief, zwei Dutzend Faden breit und fast eine Meile lang, erstreckt sich diese todbringende Gefahr schräg über den gesamten Pass. Doch hiervon ist weder etwas zu erahnen, noch zu sehen. So marschieren, allen voran Amiir Sinelar und die vor Kälte und Nässe geschwächten Soldaten von Salsortis Armee in breiter Front auf diese versteckte Gefahr zu. Noch trägt der Schnee ihre Last, bis auf einmal eine kleine Gruppe etwas abseits wie von Geisterhand verschwindet. Keiner von den ahnungslosen Soldaten hat je von solch einer Gefahr gehört und so stürmen sie auf jene Stelle zu, an der die Gletscherspalte erstmals ihren riesigen Schlund geöffnet hat. Ein fataler Fehler auf der geschwächten Schneebrücke, da diese mit einem Mal auf seiner gesamten Länge nachgibt und mehr als den halben Tross mit in die Tiefe reißt. Nur wenigen gelingt es, beiderseits der Gletscherspalte sich zu retten. Für jene aber, welche sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, kommt jede Hilfe zu spät. Amiir Sinelar, bereits auf der nördlichen Seite der Spalte, will trotz dieser Warnung nicht wahrhaben, dass dies erst der Anfang vom Untergang seiner Truppe sein soll. So befehligt er dem Rest seiner Mannschaft, die Gletscherspalte zu umgehen, um schnellstmöglich zu ihm aufzuschließen. Aus Unkenntnis hat dieser Tross es aber auch verabsäumt genügend Brennholz oder Öl mit sich zu führen und so müssen die wenigen Männer in ihren Wüstenzelten Nacht für Nacht frierend ausharren. Der eisige Wind, Nässe und neuerlicher Schneefall tragen ebenfalls das ihre dazu bei, dass am nächsten Morgen die ersten Soldaten an ihren Erfrierungen gestorben sind. Dennoch ist sich Sinelar seiner Sache sicher und immer noch der Überzeugung siegreich aus diesem Feldzug hervorzugehen. Den Wüstenpass aber sollte keiner von ihnen lebend überqueren.

  Leseprobe aus:

 

Hauch des Todes

 

Band 3

1.Teil

 

 

     

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