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  Leseprobe aus:

 

Hauch des Krieges

 

Band 2

 

 

     

    Tora, die Witwe eines Kleidermachers aus Asemaqeleni, übernahm nach dem Tod ihres Mannes sein Geschäft, zumal sie schon immer ein vorzügliches Gespür für Nadel und Faden hatte. Jedoch wurde sie von Jahr zu Jahr unruhiger. Von wilden Albträumen geplagt wusste sie schon bald nicht mehr aus und ein und so suchte sie Hilfe bei einer alten Heilerin nahe der Kaiserstadt. Drei Jahre lang blieb sie bei dieser Frau, der es schon bald gelang, tief in ihren Geist einzudringen. In dieser Zeit lernte sie von der alten Heilerin wissbegierig die Behandlung von Krankheiten mit Kräutern, die Verwendung von Pflanzen und deren Wirkung sowie die Handhabung von Giften. Sie erlernte aber auch den Umgang mit böser Magie, für die Tora eine besondere Gabe zu besitzen schien. Bei einem Selbstversuch mit Stechapfel und Tollkirsche verfiel Tora in eine tiefe Ohnmacht, in der sie in einer Vision von ihrem wahren Ich erfuhr. Jedoch konnte sie mit diesen Bildern nichts anfangen. Erst als die alte Heilerin erneut in ihren Geist eindrang, entwirrten sich die vielen Bilder in ihrem Kopf. Auf diese Weise konnte sie erfahren, dass ihre Mutter sie gleich nach ihrer Geburt vor den Toren des kaiserlichen Palastes abgelegt hatte, in der Hoffnung, dass ihre Tochter dort aufgenommen werde. Jedoch wurde das dort abgelegte Kind nicht wie von dessen Mutter erhofft in die Reihen der edlen Leute emporgehoben, sondern nur einer alten garstigen Dienstmagd übergeben. Tief verborgen im Geist von Tora konnte die Heilerin auch noch etwas anderes sehen. Nämlich Toras Mutter, wie diese ein weiteres Kind vor den Toren einer Burg aussetzt. Dieses Kind hatte allerdings mehr Glück und sollte zu einer der wohlhabendsten Frauen des Landes werden. Anfänglich freute sich Tora über die Tatsache, dass es irgendwo im Reich eine weitere Frau geben soll, die ihre Schwester sein könnte und ein ähnliches Schicksal erleiden musste wie sie. Je mehr sie aber darüber nachdachte, wuchs in ihr der Neid auf ihre Schwester, bis sie schließlich den Entschluss fasste, diese zu suchen, um an ihrem Glück teilzunehmen.

 

 

 

Weil die alte Heilerin Tora aber nicht ziehen lassen wollte, versuchte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, Tora daran zu hindern ihre Schwester zu suchen. Tora aber ließ sich nicht davon abbringen. Als die Heilerin sie mit einem Fluch zu belegen gedachte, der Toras Gedächtnis löschen sollte, schlug diese ihre Förderin nieder, noch ehe diese den Fluch aussprechen konnte. Ohne Reue, ihre Hand gegen die alte Frau erhoben zu haben, durchsuchte Tora anschließend all ihr Hab und Gut. Dabei stieß sie auf eine Schatulle mit mehreren Büchern. Eines davon sollte sie dem Geheimnis ihrer Herkunft ein großes Stück näher bringen. Aber nicht nur dieses Buch über die Macht der Tenebris fand Tora nebst anderen geheimnisvollen Dingen. Auch zwei Amulette und eine schier unendliche Zahl an Edelsteinen, welche es ihr ermöglichten, von Ersnat aus mit einem Schiff nach Minros zu fahren. Während dieser langen Seereise studierte Tora eingehend das seltsame Buch und kam zur Erkenntnis, dass nur die mächtige Hexe Aspidis ihre leibliche Mutter sein kann. Den Orden der im Buch beschriebenen Noi-tha vermutete sie ebenfalls in Moorland. Aber auch von Artefakten, welche seinem Besitzer in einem bestimmten Ritual die vollkommene Macht über das Land geben würden, erfuhr sie bei ihrem Studium. Allerdings werde dieses Ritual nur demjenigen gestattet, dem es gelingt beide Amulette zu vereinen und diese sich während einer Mondfinsternis ohne dabei Schaden zu nehmen, um den Hals zu legen. Sollte der Besitzer nicht würdig sein dieses Amulett zu tragen, werde eine Macht emporsteigen, die alles im Umkreis zu vernichten in der Lage ist. Aber nicht nur dieses Buch las Tora wissbegierig, sondern auch noch solche, die ihr viel Wissenswertes über die Provinzen und deren Eigenheiten vermittelten. So auch ein Buch über den Winter, den sie nur vom Hören sagen kannte. Sidan At Lersos, der Kapitän des Schiffes mit dem Tora von Ersnat aus in See gestochen war, hatte schon beim ersten Zusammentreffen gefallen an der adretten Frau gefunden. Er umwarb Tora auf der langen Seereise, ohne ihr dabei auch nur ein einziges Mal zu Nahe zu kommen, hatte er doch am Hofe des alten Kaisers die Etikette der Höflichkeit erlernt.

 

 

 

So war dieser stets bemüht, die wissbegierige Frau mit seinem Sachverstand und der Kenntnis über die Schifffahrtskunde sowie der Navigation zu unterrichten. Auf diesem Weg erfuhr Tora, dass in unabsehbarer Zeit ein Blutmond zu erwarten sei. Ein Blutmond, wie er in dem Buch ihrer Förderin mit all seinen Einzelheiten beschrieben wurde. Im Verlauf ihrer Reise musste sie aber auch erfahren, dass Sidan mit den finsteren Mächten, die bei solchen Ritualen meist heraufbeschwört oder entfacht werden, nichts zu tun haben möchte. Also versucht er bei jeder Gelegenheit, Tora dieses Experiment auszureden.

Eine laue Brise lässt die Segel des Schiffes leicht gestrafft nach Osten wölben, als hinter dem Horizont der Mond mit all seiner Pracht aufgeht. Strahlend hell, geradeso als wollte er diese Nacht zum Tage machen, leuchtet dieser Himmelskörper. Niemand will daran glauben, dass sich dieser Glanz schon bald in einen unheilbringenden Blutmond verwandeln wird. Doch noch ist es nicht so weit und Tora hat noch genügend Zeit sich auf ihr bevorstehendes Ritual vorzubereiten. Außer Sidan weiß niemand auf dem Schiff von ihrem Vorhaben, weil sonst die zutiefst abergläubische Mannschaft mit Sicherheit zu meutern beginnen würde. Aber auch Sidan hat so seine Bedenken und so versucht er Tora bei ihrem alltäglichen Abendessen, noch einmal von ihrem Streben abzubringen. Tora hat dies bereits erwartet. Während einer kleinen Unaufmerksamkeit von seitens Sidans, gelingt es ihr, ihm etwas von ihren zerriebenen Mulungusamen in seinen Wein zu geben, worauf Sidan in einen tiefen Schlaf verfällt. Gespenstisch wiegt sich das Schiff dem verdunkelnden Mond entgegen, als Tora leise die Messe des Kapitäns verlässt. Zu dieser Zeit wirkt das Schiff wie ausgestorben, als sie sich bis ganz nach vorne begibt, dort wo nur noch der aufragende Klüverbaum über das Vorschiff hinausragt. Unzählige Mal hat sie versucht die beiden Amulette auf irgendeine Weise zu vereinen, welche mit ihren Vertiefungen auf der Rückseite zwar ineinander passen, aber nicht mehr. Auch die beiden eingearbeiteten Edelsteine, welche in der Lage sind das Licht zu brechen und in all seinen Farben wiederzugeben, haben nur das Interesse der staunenden Seeleute geweckt. Und das vermutlich auch nur, weil sie in diesen Amuletten Schmuckstücke sahen, welche ihrer Meinung nach einen nicht unerheblichen Wert darstellen.

 

 

 

In dieser sternenklaren Nacht, in der nur das monotone Bimmeln der Schiffsglocke, sowie das Brechen der Wellen am Bug zu hören ist, will Tora im schwachen Licht des Blutmondes die Kraft des Amuletts erwecken. Doch noch ist es nicht so weit und so lauscht sie dem Steuermann, der aus seiner Lethargie erwacht zu sein scheint und ein leises Lied von schönen Frauen singt. Langsam aber stetig verfinstert sich der Mond bis hin zur Mitte der Nacht, als dieser zur Gänze verschwindet. Schon wenige Augenblicke später erscheint ein tiefroter Mond, sodass man meinen möchte, sein Herz wäre von einem riesigen Schwert getroffen und der Strom des Lebens ergieße sich über ihn. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, das viele, welches dieses Geschehen zu Gesicht bekommen in Angst und Schrecken versetzt. Tora aber nimmt ihre beiden Amulette, vereint sie und lässt das schwache Licht des Blutmondes durch die beiden Edelsteine dringen. Jedoch bewirkt dies nichts und so legt sie, schon fast etwas traurig, diese beiseite, um nur noch diesem seltsamen Schauspiel beizuwohnen. Der Wind, welcher sichtlich zugenommen hat, lässt nicht nur die Segel prall straffen, sondern auch die Wellen hart an den Bug des Schiffes schlagen. Unweigerlich ergießt sich die Gischt über die Reling. Aufgrund dessen werden die beiden Amulette mit dem salzigen Wasser der See benetzt, was wiederum zur Folge hat, dass von diesen ein leises kaum wahrnehmbares Zischen ausgeht. Was Tora nicht bemerkt, ist der Steuermann, welcher sich lautlos hinter sie geschlichen hat. Er ist von dem Gedanken gebannt eine Frau in seinen Händen zu halten, ihre Brüste zu spüren und den süßen Duft der Leidenschaft einzuatmen. Jedoch bemerkt er auch neben der Frau ein dunkelrotes Schimmern, gleich einem polierten Kristall, welches das fahle Licht der Nacht in sich spiegelt. Zwar hat dieser sein Vorhaben noch lange nicht aufgegeben, jedoch reizt ihn auch der Gedanke, ein so wertvolles Schmuckstück sein Eigen nennen zu dürfen. Langsam streckt sich seine Hand diesem entgegen, um es im nächsten Moment fest zu umschließen. Glühend heiß, gleich Kohlen aus einer Esse brennt sich daraufhin das soeben Erworbene in seine Handfläche, worauf dieser es mit einem Aufschrei des Schmerzes fallen lässt. Erschrocken fährt Tora herum, sieht ihre Amulette, welche sich bereit zu einem vereint haben und bringt dieses neu gewonnene Amulett an sich. Im Gegensatz zum Steuermann aber verspürt sie kein Brennen, keinen Schmerz und auch ihrer Hand scheint die Glut des Amuletts keinen Schaden zuzufügen.

 

 

 

Anders aber als bei Verbrennungen wurde diese Verletzung an der Hand des Steuermanns nicht versiegelt und so pumpt sein Herz unaufhörlich Blut aus der offenen Wunde. Tora hingegen scheint immun gegen diese Art von Verletzungen zu sein. Instinktiv streift sie sich ihr Amulett über das wallende Haar, um es anschließend wie den höchsten Orden des Kaisers stolz und mit erhobenem Haupt zu tragen. Immer noch bündelt sich das Licht des Blutmondes zwischen den beiden Edelsteinen. Mit einem Mal beginnt Tora seine Macht zu spüren, wenngleich das immer heller glühende Schmuckstück um ihren Hals ihr nicht das Geringste anzuhaben vermag. Von dem Aufschrei des Steuermanns geweckt, versammeln sich immer mehr Matrosen auf dem Vordeck, jedoch wagt es keiner sich Tora mehr als ein paar Schritte zu nähern, da sie von einem unerklärlichen Lichtschein umgeben wird. Am Horizont braut sich indes eine Gewitterfront zusammen, welche getragen vom Wind rasend schnell auf das Schiff zukommt. Erste Blitze lassen die Nacht erhellen, ehe sie sich mit der tobenden See vereinen. Ein Donner nach dem anderen grollt und der Wind strafft die Segel bis zum Zerbersten. Die sonst erfahrene Mannschaft hat alle Hände voll zu tun, um das Schiff vor dem drohenden Monster, welches sie bereits mit dem nächsten Donner einholt, sturmklar zu machen. Feuerzungen, welche neben dem Schiff in die aufgewühlte See fahren, lassen Wasserfontänen gen Himmel steigen und rufen ein Monster in Form von Wellen hervor, welche höher als das Krähennest sind. Dennoch gelingt es der Mannschaft, sich und ihr Schiff immer wieder aus diesen Fängen zu befreien. Aber die See gibt sich nicht so schnell geschlagen und fordert ihren Tribut. Fünf Matrosen werden von einer riesigen Welle erfasst und gnadenlos mitgerissen, um sie in den Tiefen der See hilflos zu ertränken. Ein weiterer Seemann wird von einer zu Boden stürzenden Umlenkrolle erschlagen.

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